Radikal(ANTI)Feministisch

Warum sich manche feministische Gruppen so fremd anfühlen

Immer wieder bekomme ich Fragen gestellt, warum Gruppe XYZ so gemieden wird – die wären doch eigentlich okay.
Ich möchte hier ein paar kleine Einblicke geben, wie es sein kann, dass Gruppen, die groß Feministisch in ihrem Namen tragen, vielleicht gar nicht den gleichen Feminismus meinen wie ich.

Vorweg: Ich schreibe hier aus der Position einer Frau, die ihre späte Politisierung in sexpositiven, queer-feministischen Gruppen erlebt hat.

Wo alles begann: Der Radikalfeminismus der 1970er

Die heutigen feministischen Gruppen kann man besser verstehen, wenn man in die Geschichte der frühen 1970er Jahre blickt.
Damals formierte sich der Radikalfeminismus – in Deutschland eine, vielleicht die zentrale Strömung der „zweiten Frauenbewegung“.

Zentral war die Idee des „Patriarchats als System der Unterdrückung“. Der Radikalfeminismus geht davon aus, dass die Wurzel weiblicher Unterdrückung nicht primär ökonomisch (wie im Marxismus), sondern strukturell-patriarchal ist.

Ein Schlüsselslogan der Bewegung wurde: „Das Private ist politisch.“ Sexualität, Mutterschaft, Ehe, Gewalt in der Partnerschaft – alles wurde als politisches Machtverhältnis analysiert.

Medien, Abtreibung und autonome Frauenhäuser

Zentrale Meilensteine der Bewegung sind etwa der Stern-Titel „Wir haben abgetrieben!“ (1971) und die damit verbundene medienwirksame Debatte um den §218, die bis heute nachwirkt.
Auch die Gründung autonomer Frauenhäuser ab 1976 gehört zu den Errungenschaften der Bewegung.

Theoretikerinnen und blinde Flecken

In Deutschland waren die Debatten stark von feministischen Stimmen aus den USA geprägt (z. B. Kate Millett, Shulamith Firestone), aber es entstanden auch eigene theoretische Beiträge:

  • Alice Schwarzer – kontrovers, aber medial wirksam
  • Verena Stefan – literarischer Zugriff auf patriarchale Strukturen
  • Claudia von Werlhof, Maria Mies, Christa Wichterich – feministische Globalisierungs- und Ökonomiekritik

Gleichzeitig wurde die Bewegung für ihre blinden Flecken kritisiert – etwa hinsichtlich Rassismus, Klassismus und Heteronormativität. Ein lesbischer Flügel grenzte sich von heteronormativen Positionen ab, blieb aber im Kern radikalfeministisch.

Queerer Feminismus und neue Konfliktlinien

Ab den 1980er Jahren entstanden zunehmend Spannungen zwischen radikalen und sexpositiven/queeren Strömungen.
Während sich der Radikalfeminismus im gesellschaftlichen Mainstream etablierte, wuchs in queeren Subkulturen (Unis, Clubs, Hausprojekte) eine neue feministische Praxis: der Queerfeminismus.

Sichtbarkeit und Macht in den Medien

Bis in die 2010er Jahre war der Radikalfeminismus in Deutschland medial quasi alleinvertretend für Feminismus sichtbar.
Andere feministische Perspektiven – insbesondere queere – wurden erst mit dem Aufkommen sozialer Medien ab 2006 langsam sichtbarer.
Die großen feministischen Leitnarrative in TV und Print blieben aber stark von der zweiten Frauenbewegung geprägt.

Feminist Sex Wars: Lust oder Gewalt?

International wurden bereits ab den 1980er Jahren die „Feminist Sex Wars“ ausgetragen.
Radikalfeministinnen lehnten Pornografie, BDSM und Prostitution als patriarchale Gewalt ab. Sexpositive Feministinnen hingegen betonten sexuelle Selbstbestimmung, Vielfalt und Lust.

Auch in Deutschland gab es Vertreterinnen dieser Haltung – oft unter dem Radar der großen Medien.
Seit den 1990ern entwickelten sich jedoch Räume wie PorYes, feministische Sexpartys, BDSM-Treffs für FLINTA* und sexpositive Sexshops.

Was unterscheidet die Strömungen heute?

Ein kurzer Vergleich:

ThemaRadikalfeministische PerspektiveQueerfeministische Position (marginalisiert)
SexarbeitOpfer-Narrativ, VerbotArbeitsrechte, Selbstbestimmung
TransAblehnung, KritikInklusion, Geschlechterspektrum
PornografieGewalt gegen FrauenLust, Vielfalt, feministische Pornos
IslamKopftuch als UnterdrückungIntersektionalität, Agency muslimischer Frauen

Warum viele Gruppen heute noch radikalfeministische Muster reproduzieren

Wie kommt es, dass feministische Gruppen radikalfeministische Tendenzen haben, ohne das klar zu benennen?

Meiner Meinung nach liegt das an der medialen Darstellung des Radikalfeminismus:
Seit den 1980er Jahren – mit der allgegenwärtigen Alice Schwarzer – wurde er zum sichtbarsten Feminismus. Erst langsam entstanden alternative feministische Öffentlichkeiten.

Viele neu gegründete Gruppen der 2000er und 2010er griffen (oft unreflektiert) auf feministische Konzepte der 1980er zurück.
So wurden Haltungen zu Sexarbeit, Pornografie und Trans* mitübernommen – häufig ohne bewusste Auseinandersetzung.

Ein alter Fehler wiederholt sich

Viele dieser Gruppen wiederholen die strukturellen Probleme früherer radikalfeministischer Gruppen:
Sie bleiben oft weiß, akademisch geprägt, heteronormativ und bewegen sich innerhalb einer bestimmten Einkommensschicht.

Was sie dabei übersehen: Feminismus muss intersektional, vielfältig und selbstreflektiert sein – sonst schließt er mehr aus, als er befreien kann.

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